Dokumentation

KUNST+CARE Podiumsdiskussion im Haus der Universität Düsseldorf

KUNST + CARE Podiumsdiskussion im Haus der Universität Düsseldorf

Who cares?! Sorgen, Pflegen, Kümmern im
Gesellschaftsbild des Kunstbetriebs

RISTOW / LAB K Wir beginnen unsere Podiumsdiskussion und ich freue mich sehr, zu meiner Rechten Johanna Reich zu begrüßen. Sie ist Künstlerin aus Köln. Wir haben schon einen Workshop dieses Jahr zusammen mit ihr im Landesbüro gemacht und sie hat uns seinerzeit aus gegebenem Anlass viel erzählt über die Situationen, die man auch als erfolgreiche Künstlerin immer wieder zu stemmen hat, wenn man Mutter ist. Beginnen wir einfach mal mit ihr, bevor ich dann nach und nach alle hier auf dem Podium vorstelle. Hat sich denn der Eindruck, dass es Frauen vermeintlich weniger schwer haben als noch in den 60er und 70er Jahren so bewahrheitet? Oder würdest Du dem widersprechen?

REICH / FREIE KUNST Ich glaube tatsächlich, dass es eine Rückwärtsbewegung gab, durchaus. Und ich möchte jetzt nur für Deutschland sprechen. Das ist unterschiedlich in anderen Ländern, beispielsweise ganz anders in Frankreich. Aber in Deutschland, da haben wir eben dieses Geld der Elternzeit und noch zeitgleich eine andere Sache: Wir stillen wieder als Mütter. Und diese zwei Sachen, die eigentlich toll sind, das Elterngeld und dieses „Wir-stillen-alle-wieder“ führen dazu, dass ganz viele Frauen zu Hause bleiben und am Anfang das Kind haben und erst dann auch dem Mann irgendwie das Kind mal überlassen. Das ist eine ambivalente Geschichte, zu sagen „Nee, ich mache das jetzt hier alles schon und stille nicht“. Das ist ein bisschen kontraproduktiv und vielleicht wandern wir deshalb wieder zurück.

RISTOW / LAB K Zum Stillen habe ich einen spontanen Flashback, der mir persönlich gerade einfällt: Es gab da lange Zeit noch dieses gefrorene Beutelchen abgepumpter Milch in unserem Kühlfach. Manche Paare wissen, wovon wir sprechen, aber kommen wir erst einmal zum Direktor des Kunsthaus NRW in Kornelimünster, der dort auch für eine gewisse Besonderheit gesorgt hat, nämlich mit dem Amtsantritt 2015 in Elternzeit zu gehen. Es gab dann natürlich auch Leute, die sich darüber schwer gewundert haben. Marcel Schumacher, wie war das seinerzeit?

SCHUMACHER / KUNSTHAUS NRW Ja, tatsächlich bin ich in Elternzeit am Museum Folkwang gegangen und in der Übergangszeit dann ins Kunsthaus NRW gekommen nach Kornelimünster, da haben sich zwei Situationen überschnitten. Denn eigentlich war mein Plan gewesen, am Museum Folkwang ein ganzes Jahr in Elternzeit zu gehen und dann in Teilzeit, um meiner Partnerin als Architektin den weiteren Beruf zu ermöglichen. Wobei sich das für uns dann perfekt ergeben hat, einerseits mit dieser tollen Aufgabe in Kornelimünster und auf der anderen Seite, weil es familiär auch sehr sinnvoll war, weil mein Sohn Großeltern in Aachen hat. Da bot sich natürlich für die ganze Familie diese Möglichkeit in Aachen und ein kleines Haus an, wir dachten, das wäre eine gute Möglichkeit. Aber wir standen dann plötzlich vor der Situation, die viele Väter auch haben: Sie treten einen Job mit 40 Stunden an und noch dazu einen neuen Job. Ein neuer Jobeinstieg, der für die Familie vielleicht auf der einen Seite erst mal gut zu sein scheint, aber dann eine enorme Herausforderung darstellt, weil man beim Jobeinstieg leider nicht direkt in die Elternzeit gehen kann, das ist anders, wenn man schon länger dabei ist. Ich denke, das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt. Es wurde ja schon gesagt: Trotz diesem Elterngeld, was es gibt, ist es doch bedauerlich, sich die Statistiken anzuschauen, wie wenig Zeit dieser „Elternzeit“ sich Väter tatsächlich nehmen. Und da kann ich vielleicht von einem sehr positiven Beispiel berichten: Frank Thorsten Moll, Leiter vom IKOB in Eupen, der hat sich das mit seiner Partnerin tatsächlich ganz fair geteilt. Er hat beim ersten Kind ein Jahr Elternzeit genommen und sie nimmt jetzt beim zweiten Kind ein Jahr Elternzeit. Und die haben es tatsächlich geschafft, aber es ist auch eine große Herausforderung, wenn wir über Rollenbilder im Kulturbetrieb sprechen. Wie Sascha Förster in seinem Vortrag ja auch schon gesagt hat, ist es nochmals etwas anderes, wenn man die Leitung einer Institution übernimmt, da hat man 4 vielleicht auch noch doppelt Care zu leisten, wenn man es möchte: nicht nur im Betrieb, dem Kulturbetrieb, den man dort leitet, Sorge zu tragen, sondern auf der anderen Seite natürlich auch für seine eigene Zeit, sein Kind, seinen Beitrag zu leisten.

RISTOW / LAB K Ja, und möglicherweise ist es ja auch eine Perspektive, die man nur aus der Festanstellung hat. Diese erscheint als ganz luxuriöse Situation, wenn wir das vergleichen mit Mira Parthasarathy, mit der Situation der freien Mitarbeiterin einer Kulturinstitution, die als Kunstvermittlerin an verschiedensten Häusern arbeitet. Diese bei vielen Häusern eher prekär ausgestattete Situation ist in Sascha Försters Vortrag ebenfalls schon vorgekommen. Mira Parthasarathy arbeitet in Köln und Düsseldorf an unterschiedlichsten Kulturinstitutionen und Museen. Sie ist in Leipzig geboren, hat also wie er eine Ost-Biografie einerseits und andererseits habe ich gehört, sie musste sich neulich trotz ihres wenig biodeutschen Aussehens einmal tatsächlich von einer blonden, blauäugigen Dame sagen lassen, sie habe nicht die notwendige Kompetenz im Rassismusdiskurs. Wie bitte haben wir denn das zu verstehen?

PARTHASARATHY / FREIE KUNSTVERMITTLUNG Zu viel auf einmal! (lacht) Erstmal interessiert mich das mit der Erhöhung der Bezüge in der Kunstvermittlung, was die Düsseldorfer anscheinend anstreben. Freie Kunstvermittlung und das „Mutter milch-in-Eiswürfel-Formen“, dazu könnte ich viel erzählen … auf jeden Fall habe ich hier in Düsseldorf im Kunstpalast als erstes als Kunstvermittlerin gearbeitet und habe dann mit jedem Kind irgendwie mehr Jobs und mehr Häuser dazu genommen. Und als ich mich dann beim Museumsdienst in Köln beworben habe - das muss ziemlich genau 2008 gewesen sein - hatte ich gerade mein drittes Kind. Erst haben sie mich eingeladen, dann redeten wir die ganze Zeit und dann kam wirklich der Klassiker: „Aber Sie haben ja hier geschrieben, Sie haben drei Kinder. Kriegen Sie das denn hin?“ Sonst wäre ich ja nicht gekommen und hätte mich nicht initiativ beworben!

Und ich habe es irgendwie hingekriegt, allerdings habe ich mir auch einen Hausmann angeschafft, sonst wäre es nicht gegangen. Meine Kinder sind tatsächlich in Museen groß geworden, jetzt sind sie nicht mehr so ganz interessiert daran. Aber ich hatte gerade heute noch eine Praktikantin dabei und gedacht, die hat echt keinen Zugang dazu, die weiß gar nicht, wie man sich hier verhält. Ich denke schon, dass meine Kinder besser wissen, wie sie bei Workshops helfen können, wobei ich sagen muss, natürlich habe ich immer wieder neu durchgesetzt, die zur Arbeit mitzunehmen. Von wegen Care!

Ich musste dann oft gegen die Security kämpfen und mit allem Möglichen, aber ich habe es einfach gemacht, ich kann das Kind ja dann auch nicht einfach wegstecken in dem Moment. Der Job ist aber viel anstrengender, wenn man sein eigenes Kind dabei hat. Das verhält sich anders und das muss man hinterher auch immer mit Eis belohnen und allem. Ich konnte mich da nicht so ganz auf den Rest der Gruppe einlassen und fand das immer ein bisschen zwiespältig, obwohl es eigentlich cool ist, die Kleinen mitzunehmen.

Und ja, das mit dem Rassismus, das ist so, wenn man das schon so lange macht wie ich, seit 2002, dann ist man irgendwann doch so etabliert, dass die Leute nicht mehr fragen, ob man zur Putzkolonne gehört. Aber es war wirklich so, dass ich jahrzehntelang die einzige war, die eine andere Hautfarbe hatte, in dem ganzen Genre eben. Nach meinem dritten Kind habe ich nach sechs Wochen wieder angefangen zu arbeiten, weil sie jemanden brauchten, dem man den Migrationshintergrund ansieht. Und es gab niemand anderen in ganz NRW! Tja, das war dann noch der Stand auf der Webseite vom damaligen NRW-Forum: „Biodeutscher Guide im Tandem mit Nicht-Biodeutschen“.

Ich war „nicht biodeutsch“, das nur mal so am Rande gedacht, da schüttelt man schon den Kopf. Da sind wir weiter jetzt – ich werde auch nicht mehr nach jeder Führung gefragt, warum ich so gut Deutsch spreche. Das ist aber auch erst relativ neu … und jetzt gibt es eine ganze Generation von jungen Diversen, die alles können, alles wissen, alles gendern und das ist auch alles gut so, aber da sind wir Älteren anscheinend jetzt raus, obwohl uns noch immer keiner zuhört und das finde ich ein bisschen anmaßend. Es geht da in dem zitierten Fall ums ethnologische Museum, von dem ich mir schon einbilde, dass ich die dortige Ausstellungspraxis seit Jahrzehnten kritisch beäuge aus meiner eigenen Perspektive. Das wird aber ignoriert, nur weil man bestimmte Vokabeln nicht so selbstverständlich benutzt, und weil man sich nicht „anders“ definieren will!

RISTOW / LAB K Fragen wir Dr. Hildegard Kaluza, sie ist Abteilungsleiterin für Kultur im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Wo sind denn die Stellschrauben? Wo können wir dran arbeiten? Was können wir tun? Wie können wir die Dinge, die wir zum Beispiel aus London von Daniel Herrmann zur National Gallery gehört haben, auch bei uns verbessern?

KALUZA / MKW Erstmal möchte ich sagen, dass das hier eine meiner Lieblingsveranstaltungen ist, denn ich freue mich unglaublich, dass die Kultur, dass die Kunst jetzt dieses Thema mal aufgreift. Ich habe jahrelang in der Familienpolitik gearbeitet, habe mich mit Vereinbarkeit von Beruf und Familie beschäftigt, habe schon 2003 damit angefangen. Wir sind jetzt im Jahr 2023, zwanzig Jahre später, und den Vortrag, den ich eben gehört habe, habe ich 2004 identisch von Unternehmern gehört. Das heißt, wir sind zwanzig Jahre zurück im Kulturbereich, wo die Akteure doch immer denken, sie haben die Nase vorn bei gesellschaftspolitischen Themen. Ich finde dieses Ignorieren von Familie extrem im Kulturbereich, extrem. Dass im Grunde genommen, wenn man sich den Tarifvertrag Bühne anguckt oder viele andere Dinge im Kunstbetrieb, Benachteiligungen akkumuliert werden, die es verunmöglichen, dass man als Mensch, der eine Familie hat, dort arbeiten kann, ohne dass das skandalisiert wird, das finde ich ganz extrem. Also, ich war wirklich geschockt über den Kulturbereich, als ich da reingekommen bin, wie wenig das Thema eine Rolle spielt und welchen Bildern man nachhängt. Sie haben es ja auch schon thematisiert: vor allem das Bild vom Genius, was überhaupt nichts mit irgendwelchen anderen Wechselfällen des Lebens zu tun hat, also von Kindern über die Versorgung alter und kranker Menschen, über alle möglichen anderen Dinge, die ja jeden Menschen beschäftigen.

RISTOW / LAB K Also ist die Kunstszene deutlich konventioneller aufgestellt als jedes moderne Management?

KALUZA / MKW Ja! Dagegen bin ich in Unternehmen gewesen, die das von vorne bis hinten durchdacht haben. Ich sage mal, ein mittelständisches Unternehmen in Ostwestfalen, was Ingenieure braucht, die machen alles, damit die Familien da hinkommen. Da ist es völlig selbstverständlich, dass die Männer in Elternzeit gehen, die Frauen werden entsprechend integriert und so weiter. Da findet ganz, ganz viel statt. Wobei ich Johanna Reich auch Recht geben muss, denn ich sehe auch leider einen Trend zurück, der mit den Frauen selbst zu tun hat. Aus meiner Sicht ist es auch so, dass die Generation der Feministinnen dann von der nächsten Generation wieder kritisch gesehen wird, ja? Also das nehme ich auch wahr, dass das kein geradliniger Prozess ist. Und dass viele junge Frauen sich auch wieder anders entscheiden, obwohl sie eine Top-Ausbildung haben, hängt auch mit der realen Versorgungssituation zusammen, damit, dass eben vieles nicht funktioniert, die Kindergärten nicht aufhaben, die Kinder krank sind, zu kurze Öffnungszeiten und so, das ist einfach auch alles sehr, sehr beschwerlich.

Trotzdem glaube ich, dass der Kunstbereich mal endlich was machen muss. Ich weiß nicht, ob es überhaupt in irgendeiner unserer Kulturinstitutionen Kinderbetreuung gibt, ich glaube, in einem Theater in NRW gibt es eine kleine Kindertagesstätte. Ich habe das so oft vorgeschlagen, ich werde dann immer mit toten Augen angeguckt, weil jeder sagt, das sei total aufwendig, was gar nicht stimmt. Man kann kleine Einrichtungen machen, es gibt alles in NRW, es wird alles gefördert, es gibt einen Bedarf! Es kann jeder hier im Kulturbetrieb so eine ganz kleine Einrichtung mit Tagesmutter machen, individuelle Zeiten anbieten, ist alles möglich. Aber der Kulturbetrieb verweigert sich aus meiner Sicht und deshalb bin ich da sehr hinterher und heute gerne gekommen. Ich war ja auch vor einigen Wochen zu einem anderen Symposium des Frauenkulturbüro NRW in Oberhausen im Theater, da ist die Intendantin Katharina Mädler, die sich auch intensiv damit beschäftigt. Aber ansonsten ist es verdammt schwierig und ich kann mich nur bedanken bei denjenigen, die das Thema jetzt mal nach vorne bringen. Wie auch andere Themen des Machtmissbrauchs und der Organisationsprobleme im Kulturbetrieb, das sind alles Themen, an die man sich lange einfach nicht dran getraut hat oder die man ignoriert hat. Und die müssen wir doch angehen aus meiner Sicht.

(zum Weiterlesen Pdf in der Infobox )

Vollständige Transkription der Podiumsdiskussion des Symposiums „KUNST+CARE. Chancen und Risiken der Fürsorge im Kunstbetrieb“
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